Veröffentlichung in Nahverkehrs-praxis – Ausgabe 2/3-2020 von Dr. Knut Petersen (BSL Transportation Consultants) und Dr. Hendrik Koch (mobilité Unternehmensberatung)
Ziel des ÖPNV ist es, Mobilität für den Kunden bereitzustellen. Dafür ist Kommunikation mit den tatsächlichen und potenziellen Nutzern eine wesentliche Voraussetzung. Dies umfasst mindestens die zielgerichtete Bereitstellung von Informationen zu den Mobilitätsleistungen (wann, von wo, wohin..) sowie zusätzlich individuelle interaktive ergänzende Informationen (Preise, Nutzungsbedingungen etc.). Die Digitalisierung bietet dabei natürlich enorme Chancen, diese Prozesse schneller, effizienter und besser abzuwickeln.
Die Verlässlichkeit und Konsistenz der Informationen über verschiedene Kanäle sowie die aktive und dynamische Kommunikation bei Problemen und Abweichungen sind im Status quo jedoch nicht immer erfüllt. Aktuell werden diese Chancen im ÖPNV nicht vollumfänglich genutzt, um durch zielgenaue, digitale Information/ Kommunikation die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
Die Realität ist vielerorts noch durch erhebliche Schwachstellen in der Kundenkommunikation gekennzeichnet, sowohl durch zahlreiche Systembrüche und fehlende wie falsche Information im Normalfall, als auch durch oft bemängelte zeitverzögerte und schlechte Kommunikation im Störfall.
Parallel nehmen die Anforderungen an die Kundenkommunikation durch verschiedene Treiber weiter zu:
o Wir sehen eine immer stärkere Differenzierung des Mobilitätsverhaltens der verschiedenen Nutzergruppen durch veränderte sowie teilweise eng verknüpfte Lebens- und Arbeitswelten (Home Office, Teilzeitarbeit, Interim Management, „Tandememployment“, „Digitale Nomaden“ etc.). Die Mobilitätsbedürfnisse werden somit vielschichtiger und die Prognose von Mobilitätsroutinen im Alltag wird schwieriger.
o Gleichzeitig nimmt der Wettbewerb der Mobilitätangebote zu. Im Mobilitätsmix entstehen neue, flexible Optionen jenseits der klassischen Verkehrsträger. Die neuen Mobilitätsanforderungen der Menschen, insbesondere im weiter wachsenden städtischen Umfeld, sind viel umfassender und erfordern daher immer mehr individualisierte Leistungsangebote.
o Die Erwartungen der mobilen Kunden nehmen auch zu, durch Erfahrungen und Best Practices digitaler Dienste aus anderen Branchen (z. B. Online Shopping mit Amazon), die sich durch umfassende Auswahl, hohe Adaption an individuelle Bedürfnisse, einfache und schlanke Prozesse (z. B. Amazon Pay, One Click) und klare Transparenz zum Status quo der Dienstleistung (z.B. dynamisches Tracking) auszeichnen.
o Die Wettbewerber des ÖPNVs und Anbieter von neuen, digitalen Mobilitätsservices (Sharing, Ridepooling etc.) richten ihre Dienstleistungen bereits konsequent an den spezifischen Nutzerbedürfnissen aus. Sie bieten umfassende, digitale Kommunikation mit dem Kunden sowie sehr geringe Zugangsbarrieren. Die Interaktion erfolgt über einen sehr schlanken Registrierungsprozess, einen sehr einfachen Buchungsprozess mit sehr wenigen Klicks und einen möglichst nahtlosen Zahlungsprozess (z.B. durch Verknüpfung mit Apple Pay).
Zur Realisierung der digitalen Kommunikationschancen im ÖPNV muss die digitale Interaktion entlang der gesamten Reisekette erfolgen! Hierzu sind entsprechend alle relevanten Kundenkontaktpunkte („Touchpoints“) der digitalen Interaktion zu bespielen (siehe Abb. 1), um das Kundenerlebnis optimal auf die Bedarfe auszurichten.
Schwerpunkt ist dabei eine systematische Kommunikation in zwei Richtungen:
Für diese immense Herausforderung muss der ÖPNV deshalb zügig Lösungen bereitstellen – auch vor dem Hintergrund von heute oft noch nicht optimal genutzten Kundendaten und wenig nutzerzentrierter Marketing-Kommunikation. Die Neuausrichtung ist daher nicht nur eine rein technische Anpassung, sondern eine umfassende strategische, organisatorische und prozessuale Weiterentwicklung.
Dabei ist die konsequente Neugestaltung der Kernprozesse aus der Kundenperspektive die Basis für alle weiteren Schritte, auch zur Anpassung technischer Systeme. In der Vergangenheit ist dies häufig in umgekehrter Reihenfolge passiert. Nur durch eine konsequente Ausrichtung an einer nahtlosen und somit optimalen „Kundenreise“ lassen sich die Potenziale der digitalen Kundeninterkation wirklich nutzen. Dazu können Leitfragen als Basis für die Ableitung der Anforderungen dienen (siehe Abb. 2).
Für diese konsequente Ausrichtung sind neben der Technik auch die richtigen personellen Ressourcen und Qualifikationen wichtig. Die zielgerichtete Bereitstellung und Nutzung von Kundendaten (über CRM-Systeme) und Verknüpfung der verschiedenen Systeme über alle Kundenkontaktpunkte ist nur eine zentrale Aufgabe dabei. Dazu kann auch Standardsoftware genutzt werden, die auch im ÖPNV die Bedarfe deckt.
Die Digitalisierung bietet in der Kundenkommunikation natürlich noch zahlreiche Chancen für den ÖPNV, die aber gleichzeitig auch eine enorme Verpflichtung sind. Denn wenn sie nicht genutzt werden, werden zentrale Kundenerwartungen massiv enttäuscht. Zusätzlich lasten auch alle bisher schon ungenutzten Möglichkeiten auf diesen Erwartungen.
Daher sollten alle diese Herausforderungen sehr zügig in ein konsistentes Gesamtkonzept für alle Kanäle zur Kundeninteraktion eingebettet werden, in dem die Chancen der digitalen Kommunikationskanäle mit der analogen und persönlichen Kommunikation durch Mitarbeiter verbunden werden. Und die entsprechenden Kundengruppen, die nicht digital-affin sind (ältere Kunden, eine wichtige und wegen der Demografie stark wachsende Kundengruppe) sollten nicht vollkommen vergessen werden.
Autoren:
Dr. Knut Petersen, Managing Director, BSL Transportation Consultants GmbH & Co. KG
Dr. Henrik Koch, Project Manager, mobilité Unternehmensberatung GmbH & Co. KG
04. April 2020