Gemeinsam Bewegen – Rückblick auf das 11. BSL-mobilité-KundenFORUM

von Charlotte Blechner und Jens Schleifenbaum

Bereits zum 11. Mal fand das BSL-mobilité-KundenFORUM statt, dieses Jahr am 09. und 10. November 2023 in Hamburg. Insgesamt knapp 60 Teilnehmende der Verkehrs- und Mobilitätsbranche nahmen an der zweitägigen Veranstaltung im Hotel Le Méridien mit Blick auf die herbstliche Außenalster teil.

Aus den spannenden Vorträgen und Diskussionen nehmen wir mit, dass es einer digitalen, ganzheitlichen und mutigen Herangehensweise für die Zukunft des öffentlichen Verkehrs bedarf. Hieran wird an unterschiedlichsten Stellen gearbeitet, sodass wir schon vorfreudig auf das nächste KundenFORUM und die diesbezüglichen Entwicklungen blicken.

 

Fotos der Referierenden
Unsere Referierenden (v.l.n.r.: Dr. Sarah Frost, Dr. Claudia Nobis, Dr. Tobias Heinemann, Mag. Hanna Merkinger, Johann von Aweyden, Sylvia Lier, Reto Schmid, Dr. Hendrik Koch – nicht im Bild: Klaus Emmerich)

 

Tag 1

Der erste Tag wurde von Benjamin Regorz (BSL) eingeleitet und schaute aus verschiedenen Blickwinkel auf Zukunftsthemen der Verkehrsbranche.

Dr. Hendrik Koch (mobilité) eröffnete die Veranstaltung mit einem inspirierenden Impuls zu den Verkehrsunternehmen der Zukunft. Er stellte verschiedene Hypothesen für die Zukunft der Verkehrsbranche auf.
Besonders hohe Zustimmung unter den Teilnehmenden gab es für ein verstärktes Lobbying der Verkehrsunternehmen, um die Rolle als zentraler Mobilitätsanbieter & Finanzierung zu behalten. Ebenso sollen Potenziale zur Kostensenkung durch Automatisierung realisiert werden, um die limitierten, öffentlichen Finanzierungsmittel zukünftig zu erhalten. In einer Abfrage des allgemeinen Stimmungsbildes zeigte sich, dass hier zwei Drittel der Teilnehmenden zukünftig zunächst eine moderate Entwicklung anstatt einer radikalen Veränderungen in der Branche erwarten.

Mag. Hanna Merkinger (Prokuristin, Produkt Managerin KTÖ, One Mobility Ticketing GmbH) präsentierte im zweiten Vortrag Erkenntnisse aus zwei Jahren Klimaticket Österreich. Das Jahresticket, das im ÖPNV, SPNV und österreichischen Fernverkehr gültig ist, wurde am Markt sehr gut angenommen. In der Begleitforschung konnte festgestellt werden, dass neue Kund*innengruppen erschlossen und erfolgreich gebunden werden konnten. Als nächster Schritt folgt die Einführung des digitalen Klimatickets Österreich. Dabei wurde betont, dass digitale Lösungen bereits bei der Einführung neuer Ticketangebote berücksichtigt werden müssen.

Mit Blick auf den regulatorischen Rahmen der Branche plädierte Dr. Tobias Heinemann für die Etablierung von Nachhaltigkeit in SPNV- und ÖPNV-Vergaben. Vor dem Hintergrund der in diesem Jahr in Kraft getretenen EU-CSRD sind ab spätestens Mitte 2024 auch viele Verkehrsunternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen, zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet (siehe auch Artikel unserer Schwester mobilité). Vorgaben zur Nachhaltigkeit durch Aufgabenträger wurden als zentrales Instrument dargestellt, um Verkehrsunternehmen zur Umsetzung anzuhalten und bereits umgesetzte Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu fördern.

Den Nachmittag läutete Dr. Claudia Nobis (Gruppenleiterin, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – Institut für Verkehrsforschung) mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und spannender Empirie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und dem 9€-Ticket auf das Mobilitätsverhalten ein. Daten zeigten, dass Angebote wie das Deutschlandticket langfristig das Mobilitätsverhalten beeinflussen können. Ein ausgewogener Mix aus Push- und Pull-Faktoren wurde als entscheidend für eine erfolgreiche Mobilitätswende hervorgehoben.

Als inhaltlichen Abschluss des Donnerstages gab Dr. Sarah Frost (Projektleitung, ARGE Deutschland-Ticket) einen offenen und kurzweiligen Einblick in die inhaltliche und technische Umsetzung des Deutschland-Ticket-Clearings. Innerhalb von nur 12 Wochen wurde die Clearing-Stelle im Auftrag von Bund und Ländern zur Sammlung der Verkaufsdaten aller deutschen Tariforganisationen und Verkehrsunternehmen aufgebaut, wobei Herausforderungen in Bezug auf Meldeprozesse und technische Infrastruktur bewältigt wurden.

Tag 2

Der zweite Tag unseres Kundenforums stand ganz unter dem Motto „Mutig sein“.

Klaus Emmerich (Bereichsleiter Angebot, BVG) berichtete von strategischen Ausbauprojekten rund um Bus, Bahn und Tram, die basierend auf verkehrsplanerischen Aktivitäten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in der Hauptstadt umgesetzt werden könnten. Dabei ging es nicht um das detaillierte Ausarbeiten von Maßnahmen inklusive ihrer Finanzierung, sondern vielmehr darum, groß denken zu dürfen und mutige Anstöße zu erarbeiten.
Dazu gehört zum Beispiel die Orientierung am Mega-Projekt Grand Paris Express, mit der Erkenntnis, dass dieses nahezu exakt auf Berlin übertragen werden könnte. Das Ergebnis: Der Ausbau des Bus- und Tram-Netzes, diverse U-Bahn-Verlängerungen und der Bau einer neuen insgesamt 60 km langen Ringbahn im Berliner Speckgürtel, die dort vermehrt vorkommende PKW-Verkehre substituieren könnte. Die sogenannte „Expressmetropole Berlin“ wäre laut Klaus Emmerich sicherlich nicht das Allheilmittel zur Erfüllung der Verkehrswende, doch zeigen diese Planungen Wege auf, wie schnelle und attraktive Mobilität flächendeckend gewährleistet werden kann.

Beim zweiten Beitrag des Tages gab Reto Schmid (Director Business Development, Fairtiq AG) den Teilnehmenden einen Einblick in die progressiven Schweizer Planungen im Kontext Tarif. Bereits seit 2018 gibt es ein national gültiges In/Out-System, in dem das konventionelle Tarifsortiment hinterlegt ist. Diese Tarifsortiment soll zukünftig durch ein nutzungsabhängiges, entfernungsbasiertes Preismodell mit zentralen Anreizsystemen ersetzt werden und nicht mehr nur für die Gelegenheitskund*innen, sondern für die Gesamtheit der Schweizer Bevölkerung attraktiv sein. Das bedeutet: Weg vom „Abo-Modell“, und zwar vollständig. Für solche Veränderungen brauche es zum einen die in der Schweiz vorhandenen strukturellen Voraussetzungen, zum anderen aber auch Mut und die Erlaubnis, groß denken zu dürfen.

Podiumsdiskussion zur Zukunft des Deutschlandtickets mit Sylvia Lier, Johann von Aweyden, Reto Schmid und Dr. Hendrik Koch

Beim letzten Programmpunkt des KundenFORUMS 2023 diskutierten Sylvia Lier (Geschäftsleiterin, TAF mobile GmbH), Johann von Aweyden (Gründungsgeschäftsführer, Deutschlandtarifverbund-GmbH) und Reto Schmid über die Zukunft des Deutschlandtickets. Frau Lier plädierte für eine einfache und verkehrsmittelübergreifende Nutzung, bei der auch Sharing-Modelle in das Ticket integriert werden. Herr von Aweyden betonte, dass es nun vor allem Maßnahmen für den Angebotsausbau bedarf, die – gestützt durch das Vorgehen in der Schweiz, vorgestellt durch Herrn Schmid – für positive Effekte hinsichtlich der Kundengewinnung und -bindung sorgen würden.

Einig sind sich alle drei Expert*innen: Die Stärke des Deutschlandtickets liegt in seiner Einfachheit, dies gilt es auf weitere Dinge zu übertragen, insbesondere auf die anderen Tarifprodukte und die Digitalsierung im Vertrieb. Hier kann ein Blick auf Erfahrungen aus anderen Ländern Europas neue Impulse bringen. Alleine löst das Deutschlandticket die dringenden Probleme der Verkehrswende allerdings nicht. Es bedarf einer einheitlichen Strategie, einem Generalplan, der Infrastruktur, Tarif und Vertrieb gemeinsam denkt, über Legislaturperioden hinaus geht und genau deswegen langfristig erfolgreich sein kann.

 

 

 

 

16. November 2023