Kapazitätsmanagement im ÖPNV: Auslastung steuern mit Smart Capacity Management

Das Fahrgastwachstum im ÖPNV ist ungebrochen, der VDV meldete auch für das Jahr 2017 weiter steigende Fahrgastzahlen von 1,4% im Vergleich zum Vorjahr. [1] Diese grundsätzlich erfreuliche Entwicklung verschärft eines der ältesten Probleme des ÖPNV: das Management der extremen Nachfrageschwankungen. Insbesondere in den Hauptverkehrszeiten (HVZ) agieren viele Verkehrsunternehmen an ihrer Kapazitätsgrenze, während in Nebenverkehrszeiten – bspw. am Tagesrand oder in Ferienzeiten – viele Fahrzeuge üblicherweise eher schwach ausgelastet sind.

Im Einzelfall kann daraus folgen, dass die durchschnittliche Gesamtauslastung eines Verkehrsunternehmens – trotz möglicherweise fehlender Kapazitäten in der Spitze – sehr niedrig ist. Dies hat nicht nur entsprechende Implikationen auf der Kostenseite, sondern auch und insbesondere ökologische Folgen durch höhere Emissionen pro Personenkilometer.

Zur Adressierung dieser Herausforderungen haben wir mit dem „Smart Capacity Management“ einen Ansatz entwickelt, um eben jenen Spagat zu bewältigen und sowohl ökologischen Anforderungen als auch ökonomischen Notwendigkeiten gerecht zu werden. Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über die Methodik des Smart Capacity Managements und Erkenntnisse aus verschiedenen Projekten für ÖPNV-Unternehmen geben.

Differenzierung als wichtiges Analysekriterium

Der Smart-Capacity-Prozess gliedert sich grundsätzlich in drei Phasen:

  • die Analysephase und Identifizierung der wesentlichen Handlungsbedarfe und (Nicht) Auslastungstreiber,
  • die Kommunikation der Ergebnisse gegenüber den (externen) Stakeholdern sowie
  • die Ableitung und Bewertung möglicher Maßnahmen

Unser Fokus in der Analysephase liegt darauf, die Auslastung möglichst differenziert zu untersuchen. Dazu betrachten wir die einzelnen Verkehrsträger, deren Auslastungsdaten wir nach Tagesarten, Tageszeiten, räumlichen sowie saisonalen Gesichtspunkten differenzieren. Die Ergebnisse dieser Analyse werden in einem Standard-Reporting zusammengefasst, aus denen die einzelnen Handlungsbedarfe (zunächst im Durchschnitt über alle Linien des Verkehrsunternehmens) deutlich werden und die in einem systematischen Auslastungsprofil zusammengefasst werden können:

 

Abbildung 1: Exemplarisches Auslastungsprofil
Abbildung 1: Exemplarisches Auslastungsprofil

Auf Basis dieses Auslastungsprofils kann auf einen Blick erfasst werden, in welchen Bereichen die Auslastung im kritischen Bereich liegt. Wir arbeiten zur Veranschaulichung mit einer Ampellogik. Unterdurchschnittliche Auslastungsgrade werden mit rot, durchschnittliche Auslastungen werden mit gelb und überdurchschnittliche Auslastungen werden mit grün gekennzeichnet. Darüber hinaus kennzeichnen wir ebenfalls Auslastungsgrade von über 100% in der HVZ mit einem grauen Kreis. Dieses Verfahren lässt sich auch leicht auf Ebene der einzelnen Linien durchführen, um auf dieser Basis gezielt Handlungsbedarfe für einzelne Linien und Linienabschnitte ableiten zu können.

Neben der datenbezogenen Analyse ist die qualitative Ursachenanalyse der wesentlichen Handlungsbedarfe und (Nicht-) Auslastungstreiber ein wesentlicher Bestandteil des Smart Capacity Managements. Dieser Schritt kann nur in enger Zusammenarbeit mit den Experten der Verkehrsunternehmen vor Ort durchgeführt werden.

Die Rolle externer Vorgaben für die ÖPNV Kapazitätsplanung

Unserer Erfahrung nach liegen die Ursachen für eine geringe Auslastung häufig auch in externen Bedienungsvorgaben, denen Verkehrsunternehmen nachkommen müssen. So existieren über die Daseinsvorsorge-Verpflichtung hinaus häufig Standards, die ein ökonomisch und ökologisch sinnvolles Management der Auslastung erschweren. Beispiele solcher Vorgaben im ÖPNV sind u.a. die Anbindung von weniger urbanen Strukturen mit städtischen Qualitätsstandards (bspw. mit Gelenk- statt Solobussen) oder die Durchbindung einzelner Bus-Linien trotz verkehrlich völlig unterschiedlicher Anforderung auf Teilästen.

Die Herausarbeitung solcher Restriktionen ist ein wichtiger Bestandteil des Smart-Capacity-Prozesses, der auch die Kommunikation der Ergebnisse gegenüber externen Stakeholdern und die Sensibilisierung der Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung für Auslastungsproblematiken beinhaltet. Dies ist insbesondere auch wichtig für die Ableitung von Maßnahmen, da Verkehrsunternehmen hier häufig nicht eigenverantwortlich entscheiden und agieren können.

Zur Auslastungsglättung gibt es zahlreiche Ansatzpunkte

Für das Management der Auslastung verbleiben dennoch eine Reihe von Ansatzpunkten, die funktionsübergreifend zur Lösung der Auslastungsproblematik ergriffen werden können. Im Rahmen verschiedener Projekte für Verkehrsunternehmen haben wir einen Maßnahmenbaukasten entwickelt, der als Aufsatzpunkt für die Maßnahmenableitung dienen kann:

Abbildung 2: Bestandteile des Maßnahmenbaukastens
Abbildung 2: Bestandteile des Maßnahmenbaukastens

Mögliche Maßnahmen auf Seiten der Angebotsgestaltung können z.B. das Schneiden oder Kürzen von Linien oder die Änderungen von Betriebszeiten sein. Aus Marketinggesichtspunkten ist bspw. Peak- oder Off-Peak-Load-Pricing denkbar, im Betrieb der Einsatz von Subunternehmern in der Hauptverkehrszeit oder auch der Schwachverkehrszeit. Die Schaffung von zusätzlichen Wendemöglichkeiten auf der Infrastrukturseite oder Zusatzkapazitäten in der Spitze durch Anhänger oder ein Fahrzeugwechsel zwischen Spitzen- und Schwachlastzeiten im Flottenmanagement sind weitere Ansatzpunkte für Maßnahmen.

Baukasten mit praxisbewährten Maßnahmen für das ÖPNV Kapazitätsmanagement

Zahlreiche weitere Möglichkeiten sind denkbar und im Einzelfall spezifisch auf die regionalen Bedürfnisse des jeweiligen Verkehrsunternehmens abzustimmen. Alle Einzelmaßnahmen verlangen jedoch grundsätzlich ein ganzheitliches und koordiniertes Vorgehen, weil sich die Auslastungseffekte nur durch die koordinierte Betrachtung vieler Einzelaspekte ergeben und bei fehlender Gesamtbetrachtung sehr schnell wieder verloren gehen. In unserem Maßnahmenbaukasten haben wir dazu nicht nur zahlreiche Einzelmaßnahmen gesammelt, sondern auch zusammenhängende Maßnahmenpakete festgehalten, die sich in der Praxis bewährt haben. Der Zweck des Baukastens geht damit über einen reinen „Ideengenerator“ hinaus und kann als Grundlage zur Entwicklung einer nachhaltigen, langfristig orientierten Strategie für den öffentlichen Verkehr dienen.

Der Smart-Capacity-Ansatz selbst dient darüber hinaus ebenfalls zur Sensibilisierung der politischen Entscheidungsträger für die bestehenden Auslastungsproblematiken im ÖPNV und einer Erweiterung der Diskussion über die Hauptverkehrszeit hinaus. Insbesondere im Rahmen von Fahrzeugbeschaffungsprozessen für ÖPNV-Unternehmen sollten neben den Notwendigkeiten in der Hauptverkehrszeit auch die Folgen etwaiger Beschaffungen auf die Auslastung in den Schwachverkehrszeiten betrachtet werden. Wie bereits dargelegt, ist eine solche Abwägung nicht nur ökonomisch notwendig, sondern auch aus ökologischer Sicht erforderlich, da größere Fahrzeuge mehr Emissionen verursachen. Die Implementierung des Smart Capacity Managements kann dabei als Hilfestellung und Orientierung dienen.

[1]https://www.vdv.de/presse.aspx?id=21a74b88-1484-4af8-9e31-3e2ff8cc34a8&mode=detail

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10. Dezember 2018